Hier nun die Fortsetzung von Teil I Kamp – Kaltblüter – Kirche – Kinder ...oder einfach..."Wie alles begann"
Es vergingen dann noch einige Monate bis mein Schwiegervater den ersehnten elterlichen Hof Ende September 1945 erreichte.
Gut Kamp blieb von der Zerstörung des Krieges verschont, Eltern und Schwester Jutta waren zu Hause auf dem Gut.
Wie viele Arbeitspferde es zu dem Zeitpunkt auf dem Gut gab, ist nicht genau bekannt. Vor dem Krieg hatte jeder der drei Gespannführer auf dem Gut vier Pferde - damals die schweren Warmblüter - zu versorgen
Aber der ganze Hof war nun voller Flüchtlinge, nicht nur im Haus, sondern auch in den Ställen waren Flüchtlinge einquartiert. Sie hatten manchmal nicht einen Topf. Es fehlte an allem: Betten, Geschirr, Kleidung, Decken, usw.
Sie kamen nur mit einem Handkoffer, Rucksack, Bollerwagen oder wenn es „gut“ lief mit Pferd und Wagen.
Die Heimatvertriebenen mussten alles zurück lassen, hatten Schreckliches erlebt und waren am Ende ihrer Kräfte.
Zwei Familien hatten es geschafft, ihre Pferde mitzubringen. Sie wurden auf dem Hof mit eingesetzt und später von Paul Isenberg (dem Vater von Jürgen Isenberg) gekauft.
Die Flüchtlinge (hauptsächlich die Männer) wurden alle in „Lohn und Brot“ gestellt.
Der Schwarzmarkt blühte und man konnte für einen Zentner Weizen oder andere Erträge aus der Landwirtschaft eine Menge Geld bekommen.
Die Flüchtlinge bekamen auf diese Weise ihren Lohn. Jeder Familie wurde auch ein Stück Land zugeteilt, auf dem sie dann Kartoffeln und andere Gartenfrüchte anbauen konnte. Auch sorgte Paul Isenberg dafür, dass in der Feldscheune Schweinebuchten eingeteilt wurden, sodass jede Familie ein – zwei Schweine mästen konnte. Über den Schweineboxen hatten sie dann noch Hühner untergebracht.
So hatten die Menschen ein bescheidenes Einkommen, Arbeit, ein Dach über dem Kopf und zu Essen. Sie waren versorgt und dankbar.
Abends saß man bei schönem Wetter oft draußen im Garten. Einer spielte Schifferklavier, die Frauen sangen dazu und die Kinder amüsierten sich miteinander. Die Menschen kamen zur Ruhe und eine gewisse Normalität stellte sich ein.
Es entstanden Freundschaften, die ein Lebenlang hielten.
In den Nachbardörfern Garbek und Berlin wurden von Zeit zu Zeit auch schon mal ein paar Kinofilme ausgestrahlt, der Andrang war enorm und so manche Bank ging unter ihrer schweren Last zu Bruch.
Da keiner ein Fahrrad besaß, machte man sich zu Fuß auf den Weg. Auch Jürgen lockten die Filme und er machte sich mit seinen Krücken auf den Weg.
Es dauerte ein Jahr lang, bis er seine erste Unterschenkel-Prothese bekam. Durch die fortschreitende Technik wurden die Prothesen immer besser und die Beweglichkeit meines Schwiegervaters dem zufolge auch.
Eine landwirtschaftliche Ausbildung wurde nachgeholt und als Jungbauer kam Jürgen 1947 auf das elterliche Gut zurück.
Auf dem benachbarten Gut Wensin lud man zum Ernteball und dort lernte Jungbauer Jürgen seine Erika kennen.
Sie war auch ein Flüchtlingskind und kam mit 14 Jahren als Haustochter zur Familie Hastedt. Sie stammte aus Potsdam und war die mittlere Tochter von Ernst und Annemarie Defoy.
Meine Schwiegermutter erzählte mir, dass ihr Jürgen nun öfters mal vorbei schaute.
Es war auch üblich, dass die „Gutshäuser“ regelmäßig untereinander Besuche abhielten. Jürgen verpasste keine Einladung, wenn sie denn aus Wensin kam.
Erika mußte zur Begrüßung vor dem „Gutsjüngling“ einen Knicks machen. (Diese Sitte wurde nach der Hochzeit sofort eingestellt). So verlangte es Frau Hastedt.
Später durfte mein Schwiegervater dann seine Erika mit dem Einspänner zu verschiedenen Reiterbällen oder Erntebällen abholen.
Als die Großmutter vom Nachbargut Travenort starb, der Großvater war schon 1944 gestorben, zogen Jürgens Eltern mit Schwester Jutta nach Travenort und Jürgen übernahm das Gut Kamp.
Am 18. Mai 1948 haben sich meine Schwiegereltern in der Kirche zu Warder das Ja-Wort gegeben. Meine Schwiegermutter war 18 jährig und Jürgen 25 Jahre alt.
Erika’s neue Heimat wurde Kamp „der Mittelpunkt der Welt“, wie sie immer zu sagen pflegte.
Wie am Anfang meiner Erzählung schon mal erwähnt, zeugten die beiden neun Kinder und zwar:
- 1949 wurde Johannes geboren
- 1950 wurde Christian geboren
- 1952 wurde Elisabeth geboren
- 1953 wurde mein Mann Thomas geboren
- 1955 wurde Katharina geboren
- 1957 wurden die Zwillinge Andreas und Michael geboren
- 1959 wurde Ulrike geboren
- 1963 wurde Stephan geboren
Und dann war das Haus voller Kinder!
Zur Geburt der Kinder führ man natürlich mit dem Einspänner in die Klinik nach Segeberg, das ca. 15 km von Kamp entfernt lag.
Nur bei den Zwillingen hat dies nun nicht geklappt.
Mein Schwiegervater hatte gerade aus Lübeck eine Kolonne Kartoffelsammler auf dem Acker, da kam der Knecht (früher hieß das so) mit einem Gespann eilig vorgefahren und rief meinem Schwiegervater zu „ ward Tied, ward Tied!“. Qurerfeldein lief Jürgen zum Haus, Erika saß schon im Taxi, denn Eile war geboten.
Mit schmutzigen Gummistiefeln und in „Arbeitstüch“ setzte sich Jürgen ins Taxi. Seine Schwiegermutter reichte ihm noch schnell ein paar saubere Halbschuhe durch das Autofenster, des sich schon in Bewegung setzenden Taxi’s und los ging es nach Segeberg in die Klinik.
Am Eingang des Krankenhauses kam ihnen schon die Hebamme Henni entgegen, half Erika aus dem Taxti, hakte sie unter und die beiden entschwanden in Richtung Kreissaal.
Etwas zeitverzögert lief es bei Jürgen im Taxi ab. Der Taxifahrer wurde gebeten, beim “Stiefelausziehen“ zu helfen, denn die Prothese, die im Gummistiefel steckte, löste sich recht schwer.
Als Jürgen endlich in seinen Halbschuhen steckte und in den Kreissaal trat, hatte der erste Zwilling schon das Lichter der Welt erblickt, aber ein Zwilling kommt ja selten allein. Und so konnte mein Schwiegervater denn doch bei der Geburt von Michael life dabei sein.
Beim jüngsten Sohn Stephan fuhr man dann schon mit dem eigenen Auto ins Krankenhaus, das 1960 angeschafft wurde.
Die Fortsetzung folgt bald.
24.07.2020 Bente Isenberg