In Teil 1 konnen wir bereits Spannendes über Ingvar erfahren, hier geht es nun weiter mit Teil 2
Ingvars Jugend
Im Laufe der Zeit wurde er zu einem zwar sehr hübschen, aber recht anstrengenden Halbstarken, der die Shettystuten sexuell belästigte und lästige Zäune einfach zerstörte, immer nach dem Motto „Nichts hält ein zu allem entschlossenes Fjordpferd auf!“ Auf Ausritte konnte ich ihn nicht mehr mitnehmen, denn er dachte schon längst nicht mehr daran, brav seiner Mutter hinterherzulaufen, und auch Handpferdereiten schied als mögliche Aktivität aus, weil er den armen Teetje dabei ständig beißen wollte.
Kurz: Der junge Mann war bei uns zu Hause völlig untragbar. Er musste unbedingt in Junghengst-Gesellschaft. Gab es bei uns in der Nähe eine passende Hengstweide mit Ponys?
Ich fragte herum und wurde in Gettorf bei Connemara-Züchter Jürgen Stöben fündig. Ostern 2003 wurde Ingvar ausquartiert, randalierte auf dem Anhänger und musste in Gettorf aus der Spitze hinter den Stangen befreit werden. Auf der Hengstkoppel war er der Kleinste, was ihn wohl doch zu einem gewissen Respekt zwang, und auf unserem Hof kehrte wieder Ruhe ein. Und es war klar, dass der junge Wilde erst als Wallach wieder zurückkehren sollte.
Das tat er dann im Mai 2004, zwei Jahre alt, deutlich gewachsen, mit wilder schwarz-weißer Mähne. Anfängliche Hengstmanieren legten sich bald und so konnte Ingvar allmählich als Handpferd neben Teetje, dem gelassenen Lehrmeister, die Welt entdecken.
Ingvar als vielseitiges Reitpferd
Mit drei oder vier Jahren saß schon einmal eins meiner Kinder auf seinem Rücken. Ich schwang mich allerdings erst auf mein Nachwuchspferd, als es gut vier Jahre alt war, und sobald Ingvar auf die wichtigsten Hilfen wunschgemäß reagierte, brachen wir zu unserer ersten kleinen Runde durch das Wäldchen neben unserem Hof auf. Ingvar wehrte sich zunächst nach Kräften gegen meine Versuche, ihn allein vom Hof zu reiten, gab seinen Widerstand aber bald auf und machte die erfreuliche Erfahrung, dass man tatsächlich allein mit Mensch auf dem Rücken in der weiten Welt überleben konnte.
Im folgenden Jahr, Ingvar war jetzt fünf Jahre alt, bauten wir unsere reiterlichen Aktivitäten aus: Wir gingen gemeinsam zum Reitunterricht. Und damit begann eine Entwicklung, die ich mir niemals hatte träumen lassen.
Ingvar machte in jeder Unterrichtsstunde Fortschritte. Und ich erst recht.
So kam es, dass ich mit Mitte 40 einiges an Reitausbildung und sportlichen Erfolgen nachholen konnte, die die meisten Reiter in ihrer Jugend erringen. Als wir beim Reitertag „unserer“ Reitschule Gläserkoppel die erste E-Dressur meines und auch Ingvars Lebens gleich gewannen, fühlte sich das an wie ein Olympiasieg. Mindestens.
Im Laufe der Zeit steigerten wir uns bis zur A-Dressur und gewannen 2015 beim Reitertag die Dressurreiter-A mit einer für mich sensationellen 7,2. die Erwachsenen-Abteilung. Immerhin! Wer hätte das gedacht? Ihr dürft gern nachsichtig lächeln, ich, damals 50 Jahre alt, war stolz wie Bolle auf meinen falben Dressurkracher.
Springen kann er auch. Birte hatte damals mit Ingvars Schwester Sigune ein talentiertes Springpony unter dem Sattel und war mit ihr schon erfolgreich durch die Reitabzeichenprüfung gekommen, also übertrug ich ihr auch Ingvars Springausbildung, indem ich sie in einer zusätzlichen Springstunde anmeldete. Zugegeben, die Begabung seiner Schwester besitzt Ingvar auf diesem Gebiet nicht, wohl aber ihre Zuverlässigkeit.
Nachdem er über Hindernisse eine gewisse Sicherheit erlangt hatte, konnte auch ich einiges an Springausbildung nachholen. Und so waren kleine Hindernisse und Geländestrecken kein Problem mehr für uns. Wir gingen fortan öfters zur Springstunde, 2010 bestand ich die Prüfung zum Kleinen Reitabzeichen und die Schaugruppe der IGF setzt uns in Schaubildern und Auftritten bevorzugt ein, wo Sprünge nötig sind.
Ich hatte nie eine Turnierlizenz und Ingvar ist kein eingetragenes Turnierpferd. Trotzdem können wir auf eine ganze Reihe von Starts und Erfolgen bei Reitertagen, Breitensport- und Fjordpferdeturnieren zurückblicken. Ingvars Lieblingsdisziplin sind die Allround-Aufgaben Aktions- und Präzisionsparcours, die Nervenstarke, Rittigkeit und aktives Mitdenken des Pferdes verlangen. Da ist er voll dabei!
In unserer Turnierkarriere nimmt das Freizeitpferdechampionat in Bad Segeberg, 2008 als Materialprüfung für Freizeitpferde gestartet, einen besonderen Rang ein. Ingvar, damals sechs Jahre alt, war gleich in der Pilotprüfung dabei, zeigte sich den Anforderungen gut gewachsen und landete mit einer sensationellen Wertnote auf dem zweiten Platz. Als die Prüfung 2011 verkürzt und für ältere Pferde geöffnet wurde, konnte Ingvar sogar einmal gewinnen.
Aber vor allem ist er ein schussfestes Ausreit- und Wanderpferd. Er war schon auf mehreren Wanderritten unterwegs, bei denen ihn meine damals noch recht kleine Tochter Swantje ritt, und ist eine Lebensversicherung im Gelände. Entspannte Ausritte sind immer noch das, was uns am besten gefällt – allein oder zu mehreren, wobei es von großem Nutzen ist, dass er den fleißigen, unermüdlichen Schritt seiner Mutter Thea geerbt hat. Sein größtes Glück ist es, wenn er unterwegs auch noch die Möglichkeit hat, ins Wasser zu gehen – er badet und planscht für sein Leben gern.
Inzwischen ist Ingvar 18 Jahre alt. Seit drei Jahren hat er Unterstützung durch eine junge Kollegin. Koletta heißt sie. Nach so aktiven Jahren hat er inzwischen ein bisschen Altersteilzeit verdient.
Er wird regelmäßig vier- bis fünfmal in der Woche geritten, auch mal von Reiterinnen, die leichter sind als ich: So ist er Lehrpferd für zwei junge Reiterinnen, die auf ihm bei unserer Trainerin Unterricht nehmen dürfen, und eine von ihnen, die Enkelin meines Mannes, erlernt auf ihm auch das Springen.
Dennoch hat er bei mir Aufgaben, die ihm vorbehalten bleiben: Ingvar ist mein Partner, wenn es auf Verlässlichkeit, Gelassenheit und Nervenstärke ankommt. Die Begleitung unsicherer und ängstlicher Reiter, junger Pferde und von Handpferden gehören dazu. Und auch größere Ausritte führe ich mit ihm.
Koletta habe ich in diesem Jahr übrigens decken lassen. Ein Nachwuchspferd wünsche ich mir in diesem Leben noch. Und ich hoffe natürlich, dass mir noch einmal so ein großer Wurf gelingt wie mit Ingvar.
23.07.2020 Antje Kock aus Preetz